Voller Entsetzen. Aber Nicht Verzweifelt.
Robert Stadlober liest aus den Tagebüchern von Mihail Sebastian.

Mihail Sebastian ist 27 Jahre alt, Jude, Senkrechtstarter im Milieu der Intellektuellen und KünstlerInnen im Rumänien der 30er Jahre. Von unglaublichem schriftstellerischen Talent und kann er es mit den Pariser Vorbildern der literarischen Moderne aufnehmen. Naiv ist er nicht, den rumänischen Antisemitismus hat er seit seiner Kindheit zu spüren bekommen; dass nationalistische StudentInnen am Nationalfeiertag Jüdinnen und Juden verprügeln, ist zur Routine geworden. Er weiß das, beschreibt es akribisch, ist erschrocken – und will doch nicht, dass das sein ganzes Leben bestimmt. Dieses möge lustvoll sein, nicht gerade moralisch einwandfrei und auch nicht unbedingt heroisch. Dann schon lieber über die eigenen Macken, Schwächen und Kaputtheiten selbstentblößend und witzig schreiben – schamlos sein wie André Gide! – und zugeben, wie einem der Erfolg seines Theaterstückes umtreibt, wie man von Karriere träumt, wie gekränkt man ist, wenn man nicht der einzige Liebhaber der schönsten Bukaresterin ist.
Als Journalist, Literaturkritiker und Übersetzer in der KünstlerInnenszene von Bukarest erlebt er die Zuspitzung der antisemitischen Propaganda und den Terror der faschistischen „Eisernen Garde“. Einige seiner engen FreundInnen werden zu überzeugten Anhängern des Faschismus. Sebastian beschreibt die sich steigernden antisemitischen Maßnahmen der Regierung des Marschalls Antonescu minutiös, von der Erhöhung der Mieten für Jüdinnen und Juden und der Beschlagnahme seiner geliebten Ski und des Radiogeräts, bis zu den Razzien und Deportationen. Die Tagebücher bieten einen Blick in den Alltag aus Diskriminierung und Furcht, aber auch in Momente der Hoffnung und literarischer Leidenschaft.

Robert Stadlober ist österreichischer Schauspieler, Synchronsprecher, Musiker, Autor und Sänger.

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